Bewegungs- und Integrationsförderung von Mädchen und jungen Frauen in Schweizer Sportverbänden

Leitung: Prof. Dr. Siegfried Nagel (ISPW)
Mitarbeitende: Matthias Buser, Sarah Vögtli; Hilfsassistierende: Guillaume Reesink, Mélodie Schneider
Auftraggeber: Bundesamt für Sport (BASPO)
Laufzeit: 11.2021 - 10.2022

Ausgangslage und Ziel des Projekts

Das Projekt untersucht Programme und Massnahmen von Schweizer Sportverbänden zur Bewegungs- und Integrationsförderung von Mädchen und jungen Frauen. Die im Vergleich zu gleichaltrigen Jungen und jungen Männern tiefere Sportpartizipation und geringere Sportvereinsmitgliedschaft von Mädchen und jungen Frauen wird seit mehreren Jahren wissenschaftlich dokumentiert. Besonders entlang sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Determinanten geht ein erschwerter Zugang zum und eine geringere soziale Integration im organisierten Sport einher. Der Frauensport gewinnt historisch gesehen jedoch zunehmend an Bedeutung und an öffentlichem Interesse, sodass einerseits private Akteure funktionale Argumente erkennen und öffentliche Akteure zivilgesellschaftliche Verpflichtungen wahrnehmen zur Förderung der Partizipation und sozialen Integration von Mädchen und (jungen) Frauen im Sport, insbesondere mit Migrationshintergrund. Gerade Sportverbände von Sportarten mit einer geringen Partizipationsquote von Sportlerinnen werden zunehmend aktiv, sind aber in der Integrationsförderung auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedervereinen angewiesen.

Im Rahmen von qualitativen Fallstudien wird einerseits analysiert, welche verbandspolitischen Diskurse und sozialen Strukturen sowie Entscheidungsprozesse dem Förderengagement der Verbände zugrunde liegen und wie diese zustande kommen. Besonders an der Schnittstelle zu Sportvereinen hat das vorliegende Forschungsvorhaben andererseits den Anspruch, Programme und Massnahmen auf Verbandsebene auf ihre Lancierung und Auslegung auf lokal-regionaler Ebene zu untersuchen und dabei vor allem zu beleuchten, wie und inwiefern diese Förderprogramme und Massnahmen in den jeweiligen teilnehmenden Sportvereinen umgesetzt werden.

Aktueller Wissenstand, Forschungslücken und Relevanz

Der Vereinssport ist für Schweizer Jugendliche und junge Erwachsene nach wie vor attraktiv und 42 % der Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren sind Mitglied in einem Sportverein (Lamprecht et al., 2020). Frauen sind hierbei jedoch unterrepräsentiert (Lamprecht et al., 2020) und insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund (MH) partizipieren vergleichsweise weniger in Sportvereinen (Lamprecht et al., 2017; Makarova & Herzog, 2014). Verschiedene individuelle (z.B. fehlende Unterstützung, erschwerter Zugang) und organisationale Hürden (z.B. fehlende Angebote) erschweren bei jungen Frauen eine höhere Beteiligung am Vereinssport.

Vor dem Hintergrund der sportpolitischen Forderung des chancengleichen Zugangs und der Teilhabe der gesamten Bevölkerung im Sport, legt die beobachtete geschlechtsbezogen ungleiche Sportpartizipation und soziale Integration im organisierten Sport gezielte Massnahmen nahe. Im Zusammenhang mit dem organisierten Vereinssports und der Exploration dessen Möglichkeiten und Potentialen für die Bewegungs- und Integrationsförderung von Mädchen und jungen Frauen hat die Verbandsebene als strategisches Element mit potenzieller Steuerungsfunktion eine besondere Bedeutung. Es ist deshalb danach zu fragen, inwiefern bereits auf dieser Ebene soziale Strukturen und Initiativen existieren, welche die Bewegungs- und Integrationsförderung von Mädchen und jungen Frauen (mit MH) durch die Mitgliedervereine in unterschiedlicher Art und Weise beeinflussen. Ähnlich wie auf Vereinsebene (Seiberth et al., 2013) ist dabei auch auf Verbandsebene zu erwarten, dass verschiedene Strukturbedingungen, beispielsweise in Form von Frauen in Führungs- und Entscheidungspositionen, gewisse Themen auf die Tagesordnung bringen und die Entwicklung sowie Lancierung von Programmen und Massnahmen zur Bewegungs- und Integrationsförderung von Mädchen und jungen Frauen bestärken. Gerade hinsichtlich der Implementierung der Programme und Massnahmen auf Vereinsebene scheint es wichtig, die Steuerung durch den Verband auf deren Potential hin zu beleuchten. Denn als selbst-organisierte Interessensgemeinschaft reagieren Vereine bei Veränderungen, die von «aussen» an sie herangetragen werden, eher defensiv (Koski, 2012; Skille, 2008) und es erweist sich schwierig von «aussen» die organisationale Struktur zu verändern (Thiel & Meyer, 2004). Programme und Massnahmen von Verbandsebene werden in Vereinen dabei eher umgesetzt, wenn sie den internen Interessen und Zielen entsprechen (Harris, 2009).

Theoretisch-methodisches Vorgehen

Die Durchführung von qualitativen Fallstudien in 3 Schweizer Sportverbänden umfasst problem-zentrierte Experteninterviews mit Verbands- und Vereinsfunktionär*innen sowie Fokusgruppen mit Entscheidungsträger*innen in den Vereinen, die Programme und Massnahmen umsetzen. Dabei werden bei Bedarf auch entsprechende Regionalverbände in den Blick genommen. Fallstudien ermöglichen einen vertieften und ganzheitlichen Blick auf die Praktiken, Strukturen und Prozesse hinsichtlich der Mädchen- und Frauenförderung in den ausgewählten Sportverbänden.

Theoretische Grundlagensind in der Politik- und Policy-Forschung zu verorten sowie der Forschung zu organisationalem Institutionalismus.

Bei der Selektion der Sportverbände, welche sich in der Integrations- und Bewegungsförderung von Mädchen und jungen Frauen mit Programmen und Massnahmen gezielt engagieren, sind wir folgendermassen vorgegangen. In einem ersten Schritt wurde die Verbandsdatenbank der Mitglieder- und Partnerverbände von Swiss Olympic mit den Sportarten von Jugend + Sport verglichen. Die Sportverbände, welche mit ihren Vereinsaktivitäten nicht beim nationalen Kinder- und Jugendsportförderprogramm Jugend + Sport vertreten sind, wurden in einem zweiten Schritt ausgeschlossen. In einem dritten Schritt wurde die Vorauswahl weiter selektioniert nach Sportverbänden, welche Programme und Massnahmen im Sinne von gezielter Förderung der Integration und Bewegung von Mädchen und jungen Frauen initiiert haben und diese über ihre Mitgliedervereine implementieren. Die Auswahl erfolgte nach Sichtung von Verbandsdokumenten und Jahresberichten sowie programmbezogenen Dokumenten. Die engere Auswahl umfasst die drei Verbände Swiss Badminton, Swiss Icehockey und Swiss Football.

 

Literatur

Campbell, J. L. (2004). Institutional Change and Globalization. Princeton Press.

Harris, S., Mori, K., & Collins, M. (2009). Great expectations: Voluntary sports clubs and their role in delivering national policy for English sport. VOLUNTAS: International Journal of Voluntary and Nonprofit Organizations, 20, Article 405. https://doi.org/10.1007/s11266-009-9095-y

Koski, P. (2012). Sport and cultures – Bonding and/or bridging. In R. Lidor, K.-H. Schneider & K. Koenen (Eds.), Proceedings. Sport as a Mediator between Cultures. International Conference on Sport for Development and Peace. September 15th-17th, 2011 (pp. 97-104). Wingate Institute for Physical Education and Sport, Israel.

Lamprecht, M., Bürgi, R., Gebert, A., & Stamm, H. (2017). Sportvereine in der Schweiz. Entwicklungen, Herausforderungen und Perspektiven. Bundesamt für Sport BASPO.

Lamprecht, M., Bürgi, R., & Stamm, H. (2020): Sport Schweiz 2020. Sportaktivität und Sportinteresse der Schweizer Bevölkerung. Bundesamt für Sport BASPO.

Lascoumes, P., & Le Galès, P. (2007). Introduction: Understanding public policy through its instruments—From the nature of instruments to the sociology of public policy instrumentation. Governance: An International Journal of Policy, Administration, and Institutions, 20, 1–21.

Makarova, E., & Herzog, W. (2014). Sport as a means of immigrant youth integration: An empirical study of sports, intercultural relations, and immigrant youth integration in Switzerland. Sportwissenschaft, 44, 1-9.

Nagel, S. (2006). Sportvereine im Wandel. Akteurtheoretische Analysen zur Entwicklung von Sportvereinen. Hofmann.

Seiberth, K., Weigelt-Schlesinger, Y., & Schlesinger, T. (2013). Wie integrationsfähig sind Sportvereine? Eine Analyse organisationaler Integrationsbarrieren am Beispiel von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund. Sport und Gesellschaft, 10, 174-198.

Skille, E. Å. (2008). Understanding sport clubs as sport policy implementers. International Review for the Sociology of Sport, 43, 181-200. https://doi.org/10.1177/1012690208096035

Stenling, C., & Fahlén, J. (2016). Same same, but different? Exploring the organizational identities of Swedish voluntary sports: Possible implications of sports clubs’ self-identification for their role as implementers of policy objectives. International Review for the Sociology of Sport, 51, 867-883. https://doi.org/10.1177/1012690214557103

Thiel, A., & Meyer, H. (2004). Überleben durch Abwehr – Zur Lernfähigkeit des Sportvereins. Sport und Gesellschaft, 1, 103-124. https://doi.org/10.1515/sug-2004-0202

Thiel, A., & Mayer, J. (2009). Characteristics of voluntary sport clubs management: A sociological perspective. European Journal of Sport Management, 9, 81-98.