Moving Minds – Kurz- und langfristige Effekte von Bewegungspausen auf die exekutiven Funktionen von Primarschulkindern

Logo Forschungsprojekt "Moving Minds"

Laufzeit: 2015-2017
Leitung: Prof. Dr. Mirko Schmidt & Prof. Dr. A. Conzelmann
Mitarbeiterin: Dr. Fabienne Egger
Förderung: Bundesamt für Sport BASPO

Geht es um Bewegung in der Schule, herrscht in der öffentlichen Diskussion oft die Meinung vor, dass sich sportliche Aktivität nicht nur positiv auf den Körper, sondern auch positiv auf den Geist auswirkt. So soll mehr Bewegung im Schulalltag zu verbesserter Konzentrationsfähigkeit, erhöhter Gedächtnis- und Schulleistung führen. Allerdings gibt es für das Kindes- und Jugendalter kaum wissenschaftliche Befunde, die diese Annahmen stützen. Beinahe alle Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität und dem Denken ausfindig machen konnten, wurden mit älteren Personen durchgeführt. Wenn man bedenkt, wie stark sich Kinder von Erwachsenen unterscheiden, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass diese Ergebnisse nicht eins zu eins auf die Altersgruppe der Schulkinder übertragen werden können. Zudem lassen die wenigen Studien zum Thema offen, welche Bewegung in welcher Inszenierungsform welche kognitiven Leistungen fördern soll. Aus diesem Grund wurden in der vorliegenden Studie einerseits die unmittelbare Wirkung von Bewegungspausen (Kurzzeitstudie) und andererseits die Wirkung von Bewegungspausen mit spezifischen Inhalten während zwanzig Wochen (Langzeitstudie) auf die sogenannten "exekutiven Funktionen" untersucht.

Als exekutive Funktionen versteht man in der Psychologie Fähigkeiten, mit denen Kinder und Erwachsene ihr Verhalten steuern: z.B. Ziele setzen, Impulse kontrollieren, Bewegungen oder Aufmerksamkeit steuern und kurzzeitig Informationen abspeichern. In der Schule berichten Lehrpersonen oft von Kindern, die sich leicht ablenken lassen, ihre Wünsche sofort erfüllt haben wollen, unbeherrscht reagieren und wenig Ausdauer im Lernen von neuem Stoff haben. Sie sprechen davon, dass diese Kinder über wenig Selbstdisziplin verfügen. Kinder, die längere Zeit konzentriert an einer Aufgabe verbringen können und sich angemessen verhalten, haben gut ausgebildete exekutive Funktionen. Exekutive Funktionen sind also notwendig, um in der Schule neue Inhalte schneller und besser lernen zu können und im Alltag (auch im Umgang mit Mitmenschen) angemessenes Verhalten zu zeigen. Sie werden in der Psychologie in drei Bereiche unterteilt: Inhibition, Arbeitsgedächtnis und kognitive Flexibilität. Unter Inhibition versteht man die Fähigkeit, unwichtige Informationen (z.B. Lärm auf dem Pausenplatz) ausblenden und sich auf wichtige Informationen (z.B. die Ausführungen der Lehrperson) konzentrieren zu können. Zudem gehört das Hemmen von unmittelbaren Bedürfnissen dazu: So fällt es Kindern mit einer guten Inhibition z.B. leichter, den Fernseher nicht einzuschalten, sondern mit den Hausaufgaben zu beginnen oder einen Konflikt mit Worten zu führen, statt ihn mit den Fäusten auszutragen. Die Inhibition unterstützt auf diese Weise soziales und selbstdiszipliniertes Verhalten. Das Arbeitsgedächtnis hat eine begrenzte Speicherkapazität. Es ermöglicht uns, Informationen vorübergehend zu speichern, um mit ihnen zu arbeiten. Das Arbeitsgedächtnis benötigen wir beispielsweise beim Lösen von Rechenaufgaben, indem wir uns an die errechneten Zwischenergebnisse erinnern oder beim Erlernen einer Fremdsprache, indem wir ein Wort z.B. auf Französisch suchen und das deutsche Wort währenddessen im Kopf behalten wollen. Die kognitive Flexibilität baut auf dem Arbeitsgedächtnis und der Inhibition auf. Eine gut ausgebildete kognitive Flexibilität ermöglicht es, sich auf neue Anforderungen schnell einstellen zu können. Sie hilft auch, offen zu sein, für die Argumente anderer, aus Fehlern zu lernen und sich auf neue Situationen und Anforderungen schneller und besser einzustellen.

Eine Schulklasse in einer Bewegungspause.
Eine Schulklasse in einer Bewegungspause.

Von Mitte August 2015 bis Ende April 2016 haben rund 220 Kinder aus 20 zweiten Klassen des Kantons Bern und Fribourg mitgemacht. Sie wurden sowohl in der Kurz- wie auch in der Langzeitstudie einem von vier Modulen mit unterschiedlichem Grad an kognitiver und körperlicher Aktivierung zugeteilt. Das Modul Physis bestand in der Kurzzeitstudie aus verschiedenen Laufspielen und beabsichtigte in der Langzeitstudie die Verbesserung der Ausdauerleistungsfähigkeit der Kinder. Das Modul Kognition bestand aus feinmotorischen Übungen die zur Förderung exekutiver Funktionen konzipiert wurden, physisch aber nicht anstrengend waren. Das Modul Phy-Kog bestand sowohl aus kognitiv und physisch beanspruchenden Bewegungspausen und beabsichtigte ebenfalls die Förderung der exekutiven Funktionen. In der Langzeitstudie wurden diese Spiele zweimal pro Tag während 10 Minuten im Klassenzimmer durchgeführt. Als Kontrollbedingung diente in der Kurzzeitstudie eine passive Bedingung, bei der sich die Kinder ein Hörbuch anhörten und bei der Langzeitstudie normaler Schulunterricht ohne spezifische Inhalte. Vor und nach der Kurz- sowie der Langzeitintervention wurden die exekutiven Funktionen der Kinder mit tabletgestützten Aufgaben gemessen.

Messung der exekutiven Funktionen der Kinder mit einer tabletgestützten Aufgabe.
Messung der exekutiven Funktionen der Kinder mit einer tabletgestützten Aufgabe.

Die Ergebnisse der Kurzzeitstudie zeigen, dass die Kontrollgruppe und die Gruppe "Physis" mit einer grösseren Leistungssteigerung auf die Bewegungspause reagierten als die Gruppe "Phy-Kog". Dieser Effekt zeigte sich jedoch nur bei der kognitiven Flexibilität, also der Fertigkeit, sich schnell auf neue Anforderungen einstellen zu können. Erklären lässt sich dieses Resultat durch Theorien, in welchen von einem beschränkten Pool an kognitiven Ressourcen ausgegangen wird. Demnach scheint es, als dürfte die kognitive Beanspruchung während den Bewegungspausen nicht allzu gross sein, da es sonst zu einer unmittelbaren kognitiven Ermüdung führt. In der Langzeitstudie zeigte sich, dass sich die Kinder der Gruppe "Phy-Kog" signifikant mehr – im Vergleich zu den Gruppen "Physis" und "Kognition" – in ihrer kognitiven Flexibilität über die 20 Wochen hinweg verbesserten. Die Resultate bestätigen die bisherigen Untersuchungen die aufzeigten, dass bspw. Sportunterricht mit hoher koordinativer und kognitiver Beanspruchung die kognitiven Leistungen der Schulkinder langfristig positiv beeinflussen kann. Aus der durchgeführten Untersuchung "MoMi" geht hervor, dass sich vergleichbare Effekte auch durch regelmässige Bewegungspausen mit hoher kognitiver Beanspruchung erreichen lassen.

Publikationen

Egger, F., Benzing, V., Conzelmann, A., & Schmidt, M. (2019). Boost your brain, while having a break! The effects of long-term cognitively engaging physical activity breaks on children’s executive functions and academic achievement. PLoS ONE, 14(3):e0212482.

Egger, F., Conzelmann, A., & Schmidt, M. (2018). The effect of cognitively engaging physical activity breaks on children’s executive functions: Too much of a good thing? Psychology of Sport & Exercise, 36, 178-186.

TV-Beitrag

SRF Einstein vom 25.04.2019: Die Wahrheit hinter der Bewegung – warum Sport so wichtig ist