Karrieren Schweizer Spitzenfussballerinnen: morgen anders als gestern?

Projektleitung: Prof. Dr. Achim Conzelmann
Mitarbeitende: Bryan Charbonnet, Dr. Michael Schmid, Dr. Merlin Örencik
Studierende: Elena van Niekerk, David Kurz
Projektpartner: Schweizerischer Fussballverband
Laufzeit: Januar 2022 bis Dezember 2023

Der Frauenfussball hat seit Ende der 80er Jahre einen Popularitätsschub erfahren und hat sich insbesondere in den letzten 15 Jahren sehr stark professionalisiert und kommerzialisiert. Heute ist er ein fester Bestandteil der meisten europäischen nationalen Verbände und internationaler Wettbewerbe. Die UEFA fordert denn auch in ihrer Strategie #TimeForChange (2019–2024) Vereine und Verbände auf, diesen Trend zu nutzen, um den Frauenfussball weiterzuentwickeln, und betont dabei die Bedeutung der Talentförderung und die Suche nach innovativen Strategien zur Unterstützung der Professionalisierung. Trotzdem gibt es Herausforderungen, wie das Fehlen von wissenschaftlichen Leitlinien und Studien, die speziell Frauen betreffen. Dieses Forschungsprojekt zielte darauf ab, diese Lücke etwas zu schliessen, indem untersucht wurde, wie sich die Professionalisierung und Kommerzialisierung auf die Talentförderung und Karrierewege der Schweizer Fussballspielerinnen ausgewirkt hat. Die beiden ersten Studien aus dem Projekt widmeten sich den Trainings- und Umweltfaktoren sowie den Bildungs- und Berufslaufbahnen ehemaliger Elite-Fussballspielerinnen.

Die Studie von Charbonnet et al. (2023) fokussierte sich auf Umweltfaktoren und Trainingsmuster im Frauenfussball in der Schweiz und zeigte einen signifikanten Anstieg der gesellschaftlichen, schulischen und familiären Unterstützung in den vergangenen 30 Jahren. Die Untersuchung von drei verschiedenen Kohorten von Nationalspielerinnen offenbarte zudem, dass die gestiegenen Leistungsanforderungen mit einem früheren Einstiegsalter ins Clubtraining und einer erhöhten Trainingszeit einhergingen. Erstaunlicherweise wiesen die heutigen Schweizer Nationalspielerinnen in ihrer Freizeit keinen höheren Anteil an Strassenfussball im Vergleich zu ihren Kolleginnen der 1990er-Jahre auf und sogar einen deutlich geringeren im Vergleich zu den Jungen, die später den Profifussball erreichten. Dieser Umstand lässt sich vor allem auf kulturelle Gewohnheiten zurückführen: Viele Kinder (und Eltern) neigen immer noch dazu zu glauben, dass Strassenfussball eher eine Aktivität für Jungs ist. Die Hürde, sich zu beteiligen, ist somit für Mädchen höher. Ein Kulturwandel (gesellschaftlich, institutionell, familiär, schulisch) könnte diese Hürden überwinden und Mädchen die Möglichkeit bieten, Schlüsselaspekte der Talentförderung in ihrer Freizeit zu fördern. Dies könnte dazu beitragen, Risiken einer zunehmenden Spezialisierung zu minimieren und gleichzeitig die Aussichten auf zukünftigen Erfolg zu steigern.

Die zweite Studie (Schmid et al., 2023) beleuchtete die Bildungs- und Berufskarrieren von 57 ehemaligen Elite-Fussballspielerinnen. Genauer gesagt wurde der Einfluss der Spitzensportkarriere auf die nachfolgende Berufskarriere untersucht. Dabei zeigte es sich, dass die ehemaligen Nationalspielerinnen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höhere Bildungsabschlüsse aufweisen. Im Vergleich mit ihren Geschwistern haben sie vergleichbare Bildungsabschlüsse erreicht und arbeiten heute auch in Berufen mit einem ähnlichen Prestige. Werden die typischen Bildungs- und Berufskarriereverläufe der ehemaligen Spielerinnen angeschaut, finden sich keine problematischen Verläufe (z. B. Abstiegskarrieren). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Fussballkarriere keine bedeutenden Auswirkungen auf die Bildungs- und Berufswege dieser Sportlerinnen hatte. Ehemalige Fussballerinnen sind heutzutage in der ganzen Breite auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Allerdings zeichnet sich ab, dass ähnliche Entwicklungen wie im Männerfussball bevorstehen könnten, welche sowohl mit Chancen als auch mit Risiken einhergehen. So bringt die steigende Professionalisierung und Kommerzialisierung im Sport nicht nur höhere Gehälter und neue Karrieremöglichkeiten mit sich, sondern birgt auch das Risiko, dass sich Spielerinnen vollständig auf den Sport konzentrieren und nach ihrer Karriere ohne Ausbildung und berufliche Perspektiven dastehen. Damit auch zukünftig Sportlerinnen einen gelingenden Übergang von der Leistungssportkarriere in die berufliche Karriere haben, ist es wichtig, dass die Unterstützungsmassnahmen mit dem zunehmenden Investment der Spielerinnen schritthalten.

Publikationen

Charbonnet, B., Schmid, M. J., Örencik, M., van Niekerk, E., & Conzelmann, A. (2023). The road to excellence in women’s football: A retrospective cohort study over the last 30 years with Swiss national players. Science and Medicine in Football. Advance online publication. https://doi.org/10.1080/24733938.2023.2279531

Schmid, M. J., Charbonnet, B., Kurz, D., Örencik, M., Schmid, J., & Conzelmann, A. (2023). Beyond the final whistle: Vocational careers of retired soccer players of the female Swiss national team. Soccer & Society. Advance online publication. http://doi.org/10.1080/14660970.2023.2284393