In Zusammenarbeit mit Swiss Olympic und der Stiftung Schweizer Sporthilfe wurde im Frühjahr 2020 die "Swiss Athletes Study" gestartet, um potenzielle Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die sportliche, berufliche, soziale, finanzielle, psychologische und gesundheitliche Situation Schweizer Spitzensportler:innen zu untersuchen. Die Studie wurde mittels einer jährlichen Umfrage durchgeführt und erstreckte sich über vier Messzeitpunkte bis zum Jahr 2023. Teilnahmeberechtigt waren alle Athlet:innen mit einer Swiss Olympic Card (Gold, Silber, Bronze, Elite), was eine Gesamtpopulation von 4’530 Personen ergab. Insgesamt nahmen 2’954 Schweizer Spitzensportler:innen an der Online-Umfrage teil. Dank der hohen Rücklaufquote (65%) sowie einer proportionalen Verteilung über verschiedene Sportarten (olympische Sommer- und Wintersportarten, nicht-olympische Sportarten, Behindertensportarten) und Leistungsniveaus (absolute Weltklasse bis erweiterte nationale Spitzenklasse) kann die untersuchte Stichprobe aussagekräftige Erkenntnisse für den gesamten Schweizer Spitzensport bieten.
In einer ersten Analyse der Daten, die in der veröffentlichten Medienmitteilung nachgelesen werden kann, zeigte sich, dass der Trainingsbetrieb während des Lockdowns im Jahr 2020 erheblich beeinträchtigt war. Damals gaben 74.4% der befragten Spitzensportler:innen an, dass ihr Trainingsalltag "auf den Kopf gestellt" wurde und durchschnittlich nur noch 69% der Trainingswochenstunden im Vergleich zum normalen Pensum absolviert werden konnte. Zusätzlich zu den finanziellen Einbussen durch fehlende Wettkampfprämien bei etwa 20% der Stichprobe und der Unsicherheit über die private und sportliche Zukunft konnte eine grosse Mehrheit (99%) auch positive Aspekte während dieser Zeit feststellen, wie zum Beispiel mehr Zeit für die Familie, die Genesung von Verletzungen oder Fortschritte im Studium/Beruf. Alles in allem lässt sich festhalten, dass Schweizer Spitzensportler:innen die COVID-19-Pandemie sowohl sportlich, privat, beruflich als auch gesundheitlich überwiegend gut gemeistert haben.
Diese vorläufig positiven Ergebnisse wurden durch eine Langzeitstudie von Örencik et al. (2024) weiter untersucht. Mithilfe eines personenorientierten Ansatzes wurden verschiedene psychosoziale Ressourcen (athletische Identität, Resilienz, soziale Unterstützung und Selbstwertgefühl) erfasst und deren Interaktion mit dem wahrgenommenen Stress während der COVID-19-Pandemie analysiert. Es wurde festgestellt, dass zwischen den beiden Messzeitpunkten im Juni 2020 (während des Lockdowns) und März 2021 (nach der Aufhebung der Einschränkungen) kein Unterschied im Stresserleben festzustellen war. Allerdings zeigte sich, dass das Stresserleben stark von der Konstellation der vorhandenen internen (z. B. Selbstwertgefühl) und externen Ressourcen (z. B. soziale Unterstützung) abhing. Athlet:innen mit einer hohen athletischen Identität und überdurchschnittlichen Ressourcen kamen am besten mit Stress zurecht. Den psychosozialen Ressourcen kann also eine schützende Wirkung gegen Stress zugeschrieben werden. Daher sollten die Verbände und das sportliche Umfeld ihre Unterstützungsangebote so gestalten, dass sowohl interne als auch externe Ressourcen der Spitzensportler:innen gestärkt werden können.
In einer weiteren Studie untersuchten Schmid et al. (2022) die Häufigkeit von SARS-CoV-2-Infektionen sowie die Impfbereitschaft differenziert nach soziodemografischen und sportspezifischen Merkmalen. Im ersten Jahr der Pandemie berichteten insgesamt 14.6% der Stichprobe (1’037 Athlet:innen) von einer SARS-CoV-2-Infektion, während weitere 5.4% eine solche Infektion vermuteten, ohne ein offizielles Testergebnis zu haben. Es wurde festgestellt, dass insbesondere jüngere männliche Athleten aus Mannschaftssportarten eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Infektion aufwiesen, was durch vermehrte soziale Kontakte innerhalb ihres sportlichen Umfelds erklärbar sein dürfte. Mehr als zwei Drittel der Gesamtstichprobe gaben an, dass sie sich impfen lassen würden, sobald ein Impfangebot zur Verfügung stünde, was zum Zeitpunkt der Studie noch nicht der Fall war. Die Krankheit verlief bei der Mehrheit mild in Bezug auf die direkte Symptomatik und die Auswirkungen auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Allerdings gaben einige Athlet:innen auch zwölf Wochen nach der Erkrankung eine verringerte Leistungsfähigkeit an, welches die Gefahr der Infektion für Einzelfälle verdeutlicht.
Abschliessend wurde eine Studie zur allgemeinen Lebenssituation von Schweizer Spitzensportler:innen durchgeführt (Örencik et al., 2023). Basierend auf den vor der Pandemie erhobenen Daten für das Jahr 2019 ergaben sich fünf typische Lebenssituationen im Schweizer Spitzensport. Zwei dieser Lebenssituationen betrafen Athlet:innen mit einer dualen Karriere, die neben dem Sport noch einer anderen Tätigkeit (Studium oder Beruf) nachgingen. Im Vergleich zur Gesamtstichprobe wiesen diese Athlet:innen ein mittleres Leistungsniveau auf, verbrachten weniger Stunden mit dem Sport, jedoch insgesamt bis zu 55 Stunden pro Woche in allen Tätigkeiten. Die hohen Anforderungen dieser Doppelbelastung erfordern exzellente Zeitmanagementfähigkeiten sowie flexible Studien- und Arbeitspläne. Die anderen drei identifizierten Lebenssituationen zeichneten sich durch eine ausschliessliche Konzentration auf die Spitzensportkarriere aus. Darunter wurden zwei Profisport-Typen identifiziert, die aufgrund der finanziellen Stärke ihrer Sportarten und somit der Verdienstmöglichkeiten unterschieden werden konnten, sowie Nachwuchsathlet:innen, die am Anfang ihrer Karriere von ihren Familien unterstützt werden und den Sprung in den Profisport anstreben.
Zukünftig sollten die Unterstützungsangebote daher so individuell wie möglich gestaltet werden, um den verschiedenen Lebenssituationen besser Rechnung zu tragen. Während die von ihren Familien unterstützten Athlet:innen von zusätzlichen finanziellen Mitteln profitieren könnten, um ihre Karriere voranzutreiben, sind Profisportler:innen noch stärker mit psychischem Leistungsdruck konfrontiert, um ihre Karriere aufrechtzuerhalten. Die Erkenntnisse aus allen Studien weisen auf individuelle und massgeschneiderte Unterstützungsmassnahmen hin, um eine erfolgreiche und nachhaltige Karriere im Spitzensport zu gewährleisten.
Literatur
Örencik, M., Schmid, M. J., Schmid, J. [Julia], Schmid, J. [Jürg], & Conzelmann, A. (2024). Overcoming adversity during the COVID-19-pandemic: Longitudinal stability of psychosocial resource profiles of elite athletes and their association with perceived stress. Psychology of Sport and Exercise, 72, Article 102606. https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2024.102606
Örencik, M., Schmid, M. J., Schmid, J. [Jürg], & Conzelmann, A. (2023). The differentiation of single and dual career athletes falls short: A person-oriented approach to characterize typical objective life situations of elite athletes. International Journal of Sports Science & Coaching, 18(3), 717–727. https://doi.org/10.1177/17479541221090941
Schmid, M. J., Örencik, M., Gojanovic, B., Schmid, J. [Jürg], & Conzelmann, A. (2022). Period prevalence of SARS-CoV-2 infections and willingness to vaccinate in Swiss elite athletes. BMJ Open Sport & Exercise Medicine, 8(2), Article e001330. https://doi.org/10.1136/bmjsem-2022-001330
Danksagung
Wir möchten uns bei Swiss Olympic und der Stiftung Schweizer Sporthilfe für die Unterstützung herzlich bedanken. Zudem danken wir Erik Baumann für seinen Einsatz im Forschungsprojekt.